Geschichte
Dieses Buch sei ein Geschenk aller erwähnenswerten Ereignisse und Begebenheiten im Leben, Wirken und Treiben der Zeller Musikkapelle, sowie auch aller Veränderungen und aller Freuden und Leiden dieser Gesellschaft. Es soll der Nachwelt respektive dem Nachwuchs der Kapelle erzählen, mit welchen Schwierigkeiten ihre Vorfahren zu kämpfen hatte, aber auch von jenen Tagen soll es berichten, die Glanz- und Lichtpunkte waren im Leben der Musikanten.”
Mit diesen Worten beginnt die Chronik der Bundesmusikkapelle Zell am Ziller, welche seit 1896 lückenlos geführt wird. Der damalige Chronist berichtet, dass „die ältesten hiesigen Leute nichts wissen, dass in Zell einmal keine Musikbande existiert hätte.“ Als Gründungsjahr wird 1818 angenommen. Seit damals ist die Musikkapelle ein nicht mehr weguzdenkender Bestandteil des kulturellen, religiösen und später auch touristischen Lebens des Dorfes.
Seit Beginn ihres Bestehens ist die Musikkapelle Zell auch mit den anderen Vereinen des Dorfes eng verbunden, etwa mit der Freiwilligen Feuerwehr Zell – die älteste noch bestehende Dorffeuerwehr Tirols. 1877 wurde die Kapelle offiziell auch zur „Feuerwehrmusik“. In der Chronik ist dazu folgender Eintrag vermerkt:
Die Feuerwehr, welche 1866 gegründet wurde, benötigte sehr oft auch die Musik, z.B. bei Begräbnissen von Feuerwehrmännern, am Florianitage, am Feuerwehrball, etc. und machte deshalb den Antrag, die Kapelle möchte auch den Namen Feuerwehrmusik tragen und sich verpflichten, bei vorgenannten Anlässen auszurücken. Hingegen verspreche die Feuerwehr, einige notwendige Instrumente aus ihrer Casse anzuschaffen und jährlich für Reparatur von Musikinstrumenten mehr oder weniger beizutragen. Als Feuerwehrmusik trägt die Kapelle braune Blusen mit roten Aufschlägen, Lyra und roten Schützenschnüren.”
Ein weiterer Traditionsverein, die Schützenkompanie Zell, rückte ebenfalls oft gemeinsam mit der Musikkapelle aus. Bei Ausrückungen des gesamten Zillertaler Schützenregiments tritt die Bundesmusikkapelle Zell seit über 100 Jahren in Erscheinung. Die erste Ausrückung dieser Art war die Feier des Jubliäums „100 Jahre Tiroler Freiheitskampf“, als die Zeller Musikkapelle gemeinsam mit vielen anderen Kapellen des Tales in einer Stärke von 97 Mann unter der Leitung des Zeller Kapellmeisters Ferdinand Hechl an den Feierlichkeiten in Innsbruck teilnahm. Es muss sich hier um ein imposantes Bild gehandelt haben, denn 1889 trug die Kapelle erstmals eine einfache Zillertaler Tracht (Hut, Rock, Gürtel) und seit 1898 die Zillertaler Nationaltracht in der heutigen Form.
Die Ausrückungen der Musik spiegelten oftmals die gesellschaftliche und politische Lage wider, etwa rückte sie zur Zeit der österreichisch-ungarischen Monarchie jeden Sommer zur sogenannten „Kaiserfeier“ oder auch anlässlich von Thronjubiläen aus. 1914, mit der ersten großen Zäsur des 20. Jahrhunderts, änderte sich auch für die Musikkapelle einiges. Die Chronik beinhaltet für Juli 1914 folgenden Eintrag:
Zweite Platzmusik vor der Post in Anwesenheit vielen Fremden und Einheimischen, welche wegen der Kriegerklärung Österreich-Ungarns an Serbien, stürmisch die Volkshymne und den Andreas-Hofer-Marsch verlangten, die von den Anwesenden mit entblößten Hauptes mitgesungen wurde. Eine Woche darauf Kundmachung der allgemeinen Mobilisierung. 5 Uhr früh Sturmläuten und Aufbruch zum Weltkrieg. Europa in Waffen, Gott gebe daß wir siegen.”
Aufgrund der Einberufungen zum Kriegsdienst wurde die Musikkapelle gleich zu Kriegsbeginn um die Hälfte ihrer Mitglieder dezimiert. 1915 beschlossen einige Musikanten, die zu alt für den Kriegsdienst waren, eine „Kriegsmusik“ zu gründen, um auch während des Krieges die Funktionen der Musikkapelle im Dorfgeschehen wahrnehmen zu können. Diese Kapelle bestand aus 16 Mann und blieb bis Kriegsende spielfähig. Auch die Hundertjahrfeier der Kapelle wurde 1918 im entsprechend kleinen Rahmen begangen.
In der Zwischenkriegszeit schritt die Professionalisierung der Kapelle fort. Es wurden mehr junge Musikanten ausgebildet und neue Instrumente angeschafft, immer mehr Ausrückungen waren zu absolvieren. In der Chronik ist erstmals 1923 vom beginnenden Tourismus im Zillertal die Rede, „in dessen Dienst sich die Kapelle stellen wird müssen.“ Eine Prognose, die sich bewahrheiten würden. 1928 wurde das 110-jährige Bestehen der Kapelle bereits als eine Art Bezirksmusikfest gefeiert, wie man es aus der Gegenwart kennt. Auch viele Ausrückungen waren damals bereits die selben, die man heute kennt: wöchentliche Platzkonzerte, Begräbnisse, kirchliche Feiern (Firmung, Erstkommunion), Bälle verschiedener Vereine, aber auch Begräbnisse von Mitgliedern der Feuerwehr, der Schützen, Veteranen, aber auch Mitgliedern der Musikkapelle selbst. Natürlich war auch das Gauder Fest ein jährlicher Fixpunkt, wie auch die Cäcilienfeier und Jahreshauptversammlung (damals noch „Rechungslegung“) beim Bräu. Doch das Jahr 1938 näherte sich mit großen Schritten, und für März 19138 ist in der Chronik eine Ausrückung anlässlich des „Wehrmachtsempfangs“ vermerkt – die Rede ist vom „Anschluss an das Reich“. Womöglich ahnten viele im Zillertal noch nicht, dass der Schrecken der NS-Herrschaft bald auch die Musikanten persönlich betreffen würde. Zunächst wurden noch die üblichen Ausrücken absolviert, auch kirchliche Anlässe, obwohl dies „von der Partei nicht gern gesehen wurde“. Auch beim „Deutschen Turn- und Sportfest in Breslau“ (heute Wrocław/Polen) nahm die Musikkapelle 1938 teil.
Der ganze Betrieb wurde aber immer schwieriger; die jungen Leute mussten alle zur Wehrmacht, das Jahr 1940 brachte auch dann das Unglück, den großen 2. Weltkrieg. Dieser legte das Wirken der Musikkapelle schließlich vollkommen lahm. Durch die vielen Einberufungen war sie auf 8 Mann dezimiert worden und rückte am 27. November 1940 zum letzten Male aus. Dann verstummte sie bis zu ihrer Neugründung am 11. August 1945.
Trotz der schlechten wirtschaftlichen Verhältnisse unmittelbar nach 1945 und der Tatsache, dass etliche Musikanten den Krieg nicht überlebt hatte, wurde die Musikkapelle neu gegründet, nachdem der gesundheitlich angeschlagene Kapellmeister Ferdinand Hechl seinen alten Freund Josef Frank überreden konnte, die Jugendarbeit zu übernehmen. Bald übernahm Frank auch das Amt des Kapellmeisters, und mit der allgemeinen Verbesserung der wirtschaftlichen Lage nach dem Krieg ging auch ein Aufschwung der Musik einher. Es wurden wieder immer mehr Ausrückungen, unter denen sich auch etliche Fahrten ins benachbarte Ausland befanden. Natürlich lief nicht immer alles problemlos ab, und natürlich war es (oft hinter den Kulissen) viel Aufwand, den qualitativ, aber auch quantitativ hochwertigen Betrieb der Musikkapelle aufrecht zu erhalten. In der Chronik wurde 1955 Folgendes vermerkt:
Die vielen Ausrückungen zu den verschiedensten Anlässen lesen sich in der Chronik sehr leicht. Es scheint alles klaglos und glatt im Laufe eines Jahres abzurollen. Was aber in Wirklichkeit für die Arbeit, Mühe, Laufereien, Ärger usw. dahinterstecken, vermag nur der Eingeweihte zu ermessen. Dies gilt besonders für den Ausschuß und hier wieder im ganz speziellen Fall für den Obmann. Der Obmann und seine Männer des Ausschusses waren es, die die Kapelle aus ihren Krisen herausrissen. Solche kritische Zeiten gab es immer wieder und wird es in einem Verein auch in Zukunft geben. Die Zeller Musik hat Höhen und Tiefen erlebt, aber der Gedanke, dass sie bestehen bleiben muß, überdauerte auch das Schlimmste. Möge es auch in Zukunft so bleiben!”
Den hohen Stellenwert der Musikkapelle hatte sie nicht zuletzt auch den vielen hervorragenden Kapellmeistern zu verdanken, unter deren Leitung die Kapelle stand. Neben anderen sind hier etwa der bereits erwähnte Prof. Josef Frank oder Prof. Siegfried Somma (links) zu nennen. Josef Frank war von 1948 bis 1956 Kapellmeister in Zell und konnte als ehemaliger Militärkapellmeister sowie Leiter zahlreicher renommierter Kapellen dafür sorgen, dass die Musikkapelle in der schwierigen Nachkriegszeit einen Aufschwung erlebte. Siegfried Somma, ebenfalls Militärkapellmeister, dürfte Kennern der österreichischen Militärmusik ein Begriff sein. Unter seiner Leitung erlebte die Musikkapelle Zell am Ziller einen derartigen Aufschwung an Qualität und Popularität im In- und Ausland, dass Prof. Somma nach Ende seiner Tätigkeit zum Ehrenkapellmeister ernannt wurde. Unter ihm, aber auch unter seinen Vorgängern und Nachfolgern wurde die Musikkapelle zu einer bedeutsamen Botschafterin für den Tourismus im Zillertal, was sich vor allem in Werbefahrten in Länder wie Deutschland, die Schweiz oder auch Frankreich zeigte.
Es folgten auch mehrere Schallplattenaufnahmen sowie Auftritte im Rundfunk, etwa bei den Sendungen „Tritsch Tratsch“ (1981), „Österreich hat immer Saison“ (1983), beim „Länderquiz Österreich – Ungarn“ (1984) sowie bei „Wer A sagt...“ (1989). Außerdem trat die Musikkapelle 1983 beim Kiwanis Weltkongress in der Wiener Stadthalle und 1984 in der Dortmunder Westfahlenhalle bei „1000 Takte Marschmusik“ auf. Anfang der 1980er-Jahre wurden auch zum ersten Mal Musikantinnen in die Kapelle aufgenommen.
1997, 2003 und 2014 wurden weitere CDs aufgenommen, auch unter dem neuen Kapellmeister Franz Knoflach kam es zu wichtigen Auftritten außerhalb des Zillertals: Fernsehauftritte zu Felix Dvoraks Geburtstag, „O du mein Österreich“ (1997) sowie dem „Musikantenstadl“ im Frühjahr 1998. 2006 fuhr die Musikkapelle nach Berlin, um den Weihnachtsmarkt am Gendarmenmarkt zu eröffnen. 2008 wurde im Wiener Rathaus die Eröffnung des „Almdudler Trachtenpärchenballes“ gestaltet. 2010 begab sich Franz Knoflach in den wohlverdienten musikalischen Ruhestand, wurde zum Ehrenkapellmeister ernannt und übergab den Taktstock an Fritz Joast. Auch der Ausschuss besteht seit geraumer Zeit aus vielen jungen, engagierten Musikantinnen und Musikanten. Mit Blick auf die lange und meist erfolgreiche Vergangenheit blickt die Bundesmusikkapelle Zell am Ziller also optimistisch ihrer Zukunft entgegen – in erster Linie dem kommenden Jahr, wenn sich die Gründung der Kapelle zum bereits 200. Mal jähren wird.